Journal Hämatologie
Thalassämie
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Definition: Was ist Thalassämie?

Thalassämien sind eine Gruppe genetisch bedingter Hämoglobinopathien, die zu einer unzureichenden Bildung von Hämoglobin führen. Betroffene leiden unter einer reduzierten Sauerstoffversorgung, da die roten Blutkörperchen aufgrund der Mutation in den Hämoglobin-Genen instabil sind und frühzeitig abgebaut werden. Die Erkrankung tritt in verschiedenen Schweregraden auf, die das Leben der Patient:innen in unterschiedlichem Ausmaß beeinflussen kann.

Epidemiologie: Verbreitung und Häufigkeit

Thalassämie ist besonders in Gebieten mit einer hohen Prävalenz von Malaria weit verbreitet, etwa im Mittelmeerraum, Südostasien und Afrika. Die Malaria-Erreger (Plasmodium spp.), die rote Blutkörperchen infizieren, haben in thalassämischen Zellen eine reduzierte Überlebens- und Vermehrungsfähigkeit. Dadurch haben die Betroffenen einen selektiven Vorteil, die Schwere der Malaria-Infektion wird reduziert und die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Verlaufs sinkt. In Europa, insbesondere in Deutschland, ist die Krankheit zunehmend durch Migration präsent. Genetische Beratungen und frühe Diagnostik spielen daher eine wichtige Rolle im Management und in der Prävention.

Ätiologie: Genetische Ursachen

Thalassämie wird durch Mutationen in den Genen verursacht, die für die Alpha- oder Beta-Ketten des Hämoglobins kodieren. Die Beta-Thalassämie basiert auf Mutationen im HBB-Gen, die Alpha-Thalassämie auf Mutationen in den HBA1- und HBA2-Genen. Da die Erkrankung autosomal-rezessiv vererbt wird, sind Männer und Frauen gleichermaßen betroffen. Eine genetische Beratung für Familien mit Anamnesen oder Risikofaktoren ist wichtig, um das Wiederholungsrisiko zu mindern und präventive Maßnahmen zu planen.

Pathogenese: Krankheitsmechanismus

Mutationen in den Hämoglobin-Genen beeinträchtigen die Produktion und Stabilität der Alpha- oder Beta-Globinketten. Dies führt zu einer verminderten Funktion und einem vermehrten Abbau der roten Blutkörperchen, was eine chronische Anämie verursacht. Als Reaktion erhöht der Körper die Bildung roter Blutkörperchen, was eine Überlastung der Milz und eine Eisenüberladung zur Folge haben kann. Die Eisenüberladung, ein zentrales Problem bei Thalassämie, kann zu schweren Organschäden an Herz, Leber und endokrinen Organen führen.

Klassifikation: Formen der Thalassämie

Die Thalassämie wird in Alpha- und Beta-Formen unterteilt, die jeweils in mildere (minor), moderate (intermedia) und schwere (major) Formen kategorisiert werden. Die Beta-Thalassämie major erfordert eine intensive Therapie und ist lebensbedrohlich ohne regelmäßige Behandlung. Bei Thalassämie minor treten dagegen oft keine oder nur milde Symptome auf. Diese Klassifizierung ist entscheidend für das Management und die Prognose der Erkrankung.

Symptomatik: Klinische Zeichen und Beschwerden

Die Symptome der Thalassämie variieren je nach Schweregrad. Typische Symptome sind:

  • Blässe und chronische Müdigkeit

  • Wachstumsstörungen und Entwicklungsverzögerungen, insbesondere bei Kindern

  • Knochendeformationen, besonders im Gesicht und an den Schädelknochen

  • Vergrößerte Milz (Splenomegalie) und Leber

  • Ikterus aufgrund des erhöhten Bilirubins Betroffene von Thalassämia major leiden oft schon früh an schwerwiegenden Symptomen und benötigen regelmäßige medizinische Unterstützung.

Diagnostik: Moderne Diagnoseverfahren

Die Diagnostik beginnt mit einer ausführlichen Anamnese und Laboruntersuchungen:

  • Blutbild: Häufig wird eine hypochrome, mikrozytäre Anämie festgestellt.

  • Hb-Elektrophorese: Differenziert Hämoglobin-Typen und identifiziert mögliche Mutationen.

  • Genetische Tests: Bestätigen die Diagnose und sind besonders bei pränatalen Untersuchungen oder Kinderwunsch von Bedeutung. Ein frühzeitiger Nachweis ist entscheidend, um mögliche Therapieoptionen einzuleiten. Zudem hilft die pränatale Diagnostik Familien bei der Entscheidung über eine Schwangerschaft.

Welche Behandlungsmöglichkeiten bietet die moderne Medizin bei Thalassämie

Die Behandlung variiert je nach Schweregrad:

Bluttransfusionen:

Notwendig für Thalassämia major, jedoch verbunden mit dem Risiko einer Eisenüberladung.

Chelattherapie:

Reduziert überschüssiges Eisen, das sich in Organen anreichert und durch regelmäßige Transfusionen entsteht. Chelatbildner wie Deferoxamin und Deferasirox sind Standardbehandlungen.

Stammzelltransplantation

Bietet die einzige kurative Möglichkeit, ist jedoch risikoreich und benötigt einen passenden Spender. Die Stammzelltransplantation ist derzeit die einzige etablierte Möglichkeit, Thalassämie potenziell zu heilen. Dabei werden hämatopoetische Stammzellen, die zur Bildung von Blutbestandteilen wie roten Blutkörperchen fähig sind, aus dem Knochenmark oder Blut eines passenden Spenders entnommen und auf den Patient/die Patientin übertragen. Diese transplantierten Zellen können das genetisch defekte Blutbildungssystem der Betroffenen ersetzen und ermöglichen so die Produktion gesunder roter Blutkörperchen.

Gentherapie

Erste Studien zu Genkorrektur-Verfahren wie CRISPR zeigen vielversprechende Ergebnisse für die Zukunft, da sie direkt auf die genetische Ursache der Erkrankung abzielen. Die Gentherapie, insbesondere die Nutzung von Genkorrektur-Techniken wie CRISPR-Cas9, hat in der Thalassämie-Forschung bahnbrechende Möglichkeiten eröffnet. Ziel ist es, die genetische Ursache der Erkrankung zu beheben, indem die zugrundeliegende Mutation direkt in den Zellen der Betroffenen korrigiert wird. Bei Thalassämie, die durch Mutationen in den Hämoglobin-Genen verursacht wird, kann CRISPR gezielt die betroffenen Gene reparieren oder funktionale Kopien einfügen, um die normale Hämoglobinproduktion wiederherzustellen. Der große Vorteil der CRISPR-Technik ist, dass sie eine potenziell kurative Lösung bietet. Im Gegensatz zu symptomatischen Behandlungen, wie regelmäßigen Bluttransfusionen oder Eisen-Chelat-Therapie, greift CRISPR an der Ursache der Erkrankung an. Dennoch gibt es Herausforderungen, darunter die Sicherstellung der Präzision und Minimierung von Off-Target-Effekten (unerwünschte genetische Veränderungen), sowie die Kosten und Zugänglichkeit dieser Therapie. Langfristige Studien sind erforderlich, um die Sicherheit und dauerhafte Wirksamkeit der Behandlung zu bestätigen, insbesondere in Hinblick auf mögliche Spätfolgen.

Nachsorge: Langfristige Betreuung

Langfristige Nachsorge ist entscheidend für Patient:innen mit Thalassämie, insbesondere bei der Major-Form. Komplikationen wie Eisenüberladung und Organversagen müssen durch regelmäßige Kontrollen von Herz, Leber und endokrinen Drüsen vermieden werden. Eine psychosoziale Betreuung und regelmäßige Überwachung der Patient:innen in spezialisierten Zentren sind ebenfalls wichtig, um die Lebensqualität zu erhöhen. (https://www.journalonko.de/thema/lesen/eine_adaequate_nachsorge_von_krebspatienten_ist_unerlaesslich)

Prognose: Lebenserwartung und Lebensqualität

Die Lebenserwartung variiert stark und hängt von der Schwere der Erkrankung sowie der adäquaten Versorgung ab. Durch moderne Therapien können Patient:innen mit einer angemessenen medizinischen Betreuung eine normale oder nahezu normale Lebenserwartung erreichen. Ohne Therapie ist die Prognose jedoch oft schlecht, insbesondere bei Thalassämia major, die ohne regelmäßige Bluttransfusionen und Chelattherapie zu schwerwiegenden Komplikationen führen kann.

Eisenüberladung und Organfolgen

Regelmäßige Bluttransfusionen, eine Standardtherapie bei Thalassämia major, führen zu einer chronischen Eisenüberladung, da überschüssiges Eisen nicht effektiv ausgeschieden wird. Das Eisen sammelt sich in Organen wie Herz, Leber und Bauchspeicheldrüse und kann langfristig zu schweren Komplikationen wie Herzinsuffizienz, Leberzirrhose und Diabetes führen. Eine lebenslange Chelattherapie ist notwendig, um diese Folgen zu verhindern, bringt aber auch Nebenwirkungen und zusätzliche Belastungen mit sich.

Langfristige Therapieanforderungen

Die notwendigen Transfusionen und Chelattherapien sind für Patient:innen nicht nur körperlich belastend, sondern auch logistisch und emotional herausfordernd. Der Bedarf an regelmäßigen Krankenhausbesuchen oder spezialisierten Einrichtungen für die Behandlung kann das soziale Leben und die Berufstätigkeit stark beeinträchtigen.

Infektionsrisiko und Immunprobleme

Häufige Bluttransfusionen erhöhen das Risiko für Infektionen, insbesondere wenn der Zugang zu sicheren Blutbanken begrenzt ist. Außerdem kann die vergrößerte Milz (Splenomegalie), die bei Thalassämie häufig auftritt, die Immunabwehr schwächen, wodurch die Infektanfälligkeit steigt.

Psychosoziale Belastungen

Die Diagnose und das Leben mit Thalassämie bringen erhebliche emotionale und soziale Belastungen mit sich, sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Familien. Chronische Erkrankungen können zu Ängsten, Depressionen und sozialer Isolation führen, und die ständige Notwendigkeit medizinischer Interventionen beeinträchtigt die Lebensqualität zusätzlich.

Kosten und Zugang zu Therapie

Die Behandlungskosten für Thalassämie sind hoch, insbesondere in Ländern mit begrenztem Zugang zu Bluttransfusionen und Chelattherapie. In solchen Fällen können die verfügbaren Therapien für viele Patient:innen unerschwinglich sein, was zu einer schlechteren Prognose führt.

Limitierte Optionen zur Heilung

Während Stammzelltransplantationen als kurative Option verfügbar sind, können sie aufgrund des Mangels an passenden Spendern, hohen Kosten und des Risikos schwerer Nebenwirkungen oft nicht für alle Patient:innen durchgeführt werden. Die Gentherapie ist eine potenziell heilende Alternative, jedoch noch in der Forschung (siehe oben) und nicht weit verbreitet verfügbar.

Prophylaxe: Prävention durch genetische Beratung

Genetische Beratung ist die wichtigste prophylaktische Maßnahme, da sie Familien mit Risikofaktoren über die genetische Übertragbarkeit aufklärt und Optionen wie pränatale Tests anbietet. Ein Paar, bei dem beide Partner Träger sind, hat eine 25%ige Wahrscheinlichkeit, dass das Kind an Thalassämie major erkrankt, eine 50%ige Chance, dass das Kind ebenfalls Träger ist, und eine 25%ige Chance, dass das Kind gesund ist. Die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik (https://genom.de/de/konsortien/deutsche-gesellschaft-fuer-humangenetik-e-v-gfh) und das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) (https://www.dkfz.de/de/nct/index.html) bieten Verzeichnisse von Beratungszentren an, die eine umfassende Beratung und Diagnostik für genetische Erkrankungen anbieten. Genetische Beratungen werden oft von Humangenetikern oder spezialisierten Medizinern durchgeführt und umfassen sowohl die genetische Aufklärung als auch psychosoziale Unterstützung.

Neben der Aufklärung über das Vererbungsrisiko können pränatale Diagnoseverfahren angeboten werden, um festzustellen, ob der Fötus betroffen ist. Solche Tests umfassen die Chorionzottenbiopsie oder Amniozentese, die bereits im ersten Schwangerschaftsdrittel durchgeführt werden können.

Thalassämie ist eine genetische Erkrankung, die den Sauerstofftransport im Körper beeinträchtigt. Sie resultiert aus Mutationen in Hämoglobin-Genen, was zu einer Anämie und anderen Symptomen führt.

Thalassämie wird durch ein Blutbild, Hämoglobin-Elektrophorese und genetische Tests diagnostiziert. Diese Methoden ermöglichen eine exakte Bestimmung der Erkrankung und des Schweregrades.

Zu den Symptomen zählen Blässe, Müdigkeit, Wachstumsstörungen, Gelbsucht und Milzvergrößerung. Die Schwere der Symptome hängt von der Thalassämie-Form ab.

Behandlungen umfassen regelmäßige Bluttransfusionen und Chelattherapie zur Kontrolle der Eisenüberladung. Eine Stammzelltransplantation ist eine Option, wenn ein geeigneter Spender verfügbar ist.

Eine direkte Vermeidung von Thalassämie ist nicht möglich, aber durch genetische Tests und pränatale Diagnostik können Paare das Risiko besser verstehen und gegebenenfalls informierte Entscheidungen treffen.

Fußnoten:

(1)

Onkopedia Beta-Thalassämie: https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/beta-thalassaemie/@@guideline/html/index.html

(2)

Alpha- und Beta-Thalassämie: https://register.awmf.org/assets/guidelines/025-017l_S1_Thalassaemien_2023-02_1.pdf

(3)

Cario, H. Thalassämien. Sonderheft Hämatologie JOURNAL ONKOLOGIE (SH) 2019. https://www.journalonko.de/artikel/lesen/thalassaemien (abgerufen am 28.10.2024)